Genetische Ursachen individueller Arzneimittelunverträglichkeiten

Pharmakogenetische Untersuchungen dienen der Abklärung genetisch bedingter Ursachen für Arzneimittelunverträglichkeiten und Therapieresistenzen. Varianten in Genen, die Proteine mit pharmakologisch relevanter Funktion codieren (z.B. Enzyme, Transportproteine, Rezeptoren), können zu Veränderungen im Arzneimittelmetabolismus und -transport bzw. deren Zielstrukturen (Drug Targets) führen und dadurch die Wirksamkeit und Verträglichkeit von Arzneimitteln beeinflussen. Die Einbeziehung pharmakogenetischer Befunde stellt neben dem Therapeutischen Drug Monitoring und der Arzneimittelinteraktionsprüfung einen nützlichen Baustein für die Therapieplanung dar.

Arzneimittel-Metabolismus

Der Metabolismus von Medikamenten spielt eine entscheidende Rolle für die Wirksamkeit und Verträglichkeit einer Arzneimitteltherapie, da er den Wirkspiegel des Arzneistoffs im Körper maßgeblich mitbestimmt. Viele am Medikamentenstoffwechsel beteiligte Enzyme sind polymorph, d.h. es gibt genetisch bedingte Veränderungen in deren Bauplan (DNA), so dass die Aktivität von der eines "normalen" Enzyms abweicht. Dadurch bedingte interindividuelle Unterschiede in der Abbaugeschwindigkeit können zu unerwünschten Arzneimittelwirkungen oder Therapieversagen führen, da sie eine vom Erwartungswert abweichende Stoffwechselrate des jeweiligen Medikaments bedingen können. Die dadurch verschobenen Wirkspiegelprofile (Serumkonzentration, Halbwertszeit) können im Therapeutischen Drug Monitoring detektiert werden. Ein zu hoher Wirkspiegel gibt einen Hinweis auf einen verlangsamten Metabolismus (Ausnahme Prodrugs) und damit auf das mögliche Vorliegen eines genetisch bedingten “langsamen Metabolisierertyps“  (PM =Poor Metabolizer) für das entsprechende stoffwechselrelevante Enzym. Bei zu niedrigen Spiegeln kann ein „ultraschneller Metabolisierertyp“ (UM) ursächlich sein. Anhand des Genotyps lassen sich die verschiedenen Metabolisierertypen ableiten, die jedoch nur für das analysierte Enzym gelten und daher nur für Wirkstoffe, die von diesem Enzyms verstoffwechselt werden. Die Bestimmung eines „generellen“ Metabolisierertyps ist daher nicht möglich. Bei der genetischen Abklärung muss zudem beachtet werden, dass der ermittelte Metabolisierertyp nur dann vollständig abgebildet ist, wenn die Analyse des Gens so weitreichend erfolgt ist, dass sie eine eindeutige Bezeichnung der Allel-Kombination zulässt.

Klassifikation der CYP2D6-Metabolisierertypen
Allelkonstellation Metabolisierertyp (DPWG-Guideline) Metabolisierertyp (CPIC-Guideline)
Gen-Amplifikation in Abwesenheit von inaktiven oder decreased Allelen UM UM
2 aktive Allele (z.B. *1/*1) EM EM
1 aktives und 1 funktionell beeinträchtigtes Allel (z.B. *1/41) EM EM
2 funktionell beeinträchtigte Allele (z.B. *9/*41) IM EM
1 aktives und 1 inaktives Allel (*1/*4) IM EM
1 inaktives und 1 funktionell beeinträchtigtes Allel (z.B. *4/*41) IM IM
2 inaktive Allele (z.B. *4/*5) PM PM

aktive Allele *1, *2, *33, *35 u.a.
funktionell beeinträchtigte Allele *9, *10, *17, *29, *36, *41 u.a.
inaktive Allele *3-*8, *11-*16, *19-*21, *38, *40, *42 u.a.

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Der Metabolismus von Pharmaka erfolgt in zwei Schritten:

Phase I:

Im ersten Schritt der Biotransformation werden die Moleküle oxidativ, reduktiv oder hydrolytisch verändert. Von besonderer Bedeutung sind dabei Oxidationsreaktionen. Die oxidative Biotransformation von Arzneistoffen erfolgt hauptsächlich über Monooxygenasen des (mikrosomalen) Cytochrom P450-Systems. Die Enyzme der Cytochrom P450-Superfamilie spielen im Metabolismus von endogenen Substraten, Umweltschadstoffen, kanzerogenen Stoffen und einer Vielzahl von Arzneistoffen eine zentrale Rolle. Die Enzyme werden vorwiegend in der Leber exprimiert und fungieren als Monooxygenasen der Phase-I-Reaktion. Aufgrund von Homologien in der Aminosäuresequenz unterteilt sich die Superfamilie der Cytochrom P450-Gene in 36 Gen-Familien, welche sich wiederum in Subfamilien aufgliedern. Die klinische Bedeutung und Assoziation von genetischen Varianten mit veränderten Enzymaktivitäten von CYP2D6, CYP2C19 und CYP2C9 ist innerhalb dieser Subfamilien gut charakterisiert.

Phase II:

In vielen Fällen wird erst durch die Reaktionen der Phase I die Voraussetzung für eine Kopplung des Moleküls mit einer körpereigenen Substanz in der Phase II geschaffen. Diese Konjugationsreaktionen laufen nach Aktivierung eines Reaktionspartners unter Katalyse spezifischer Transferasen ab.

Tranportmoleküle und Drug-Targets

Transporter

Transportmoleküle befördern die Medikamente an die Orte, an denen sie wirken sollen. Zudem sind sie auch an der Entgiftung beteiligt, indem sie Wirkstoffe oder deren Metaboliten aus den Zellen heraustransportieren. Die Transportkapazität dieser Proteine ist unter anderem genetisch determiniert. Varianten in den Genen von Transportern wie OATP1B1 oder PGP führen zu einer veränderten Transportrate, wodurch Wirkstoffe nicht in der vorgesehenen Geschwindigkeit verteilt bzw. eliminiert werden. Dadurch können erhöhte oder zu niedrige Wirkspiegel der betroffenen Substrate auftreten, die mit einer veränderten Arzneimittelwirkung einhergehen.

MDR1/ABCB1 Pharmakogenetik Transporter Mechanismus Zelle mit einer hohen Expression des P-Glycoproteins. Durch die große Anzahl an Transportern in der Zellmembran wird der Wirkstoff zügig wieder aus der Zelle transportiert, so dass die Konzentration in der Zelle niedrig bleibt.
MDR1/ABCB1 Pharmakogenetik Transporter Mechanismus Zelle mit einer niedrigen Expression des P-Glycoproteins. Da sich nur wenige Transporter in der Zellmembran befinden, wird nur ein geringer Anteil des Wirkstoffes wieder aus der Zelle transportiert. In der Zelle besteht eine hohe Wirkstoffkonzentration.

Drug Targets

Die Wirksamkeit eines Medikaments kommt zumeist durch die Interaktion mit einer Zielstruktur (Drug Target) im Körper zustande. Ist das Target durch Varianten im dafür codierenden Gen so aufgebaut, dass der Wirkstoff nicht interagieren kann, führt dies zum Verlust der Wirksamkeit. Dies spielt insbesondere in der medikamentösen onkologischen Therapie eine große Rolle. Weitere Informationen dazu finden sich im Fachbereich Onkologie unter Companion Diagnostics.

Darstellung der Interaktion von Drug Target und Wirkstoff A) Darstellung der Interaktion eines Wirkstoffes mit seinem Drug Target (Zielstruktur). Der Wirkstoff bindet am Drug Target in der Bindungstasche und kann so seine gewünschte Wirkung entfalten. B) Durch eine pathogene Variante im codierenden Gen des Drug Targets ist die Struktur der Bindungstasche so verändert, dass der Wirkstoff nicht mehr binden kann. Es kommt zu einer Therapieresistenz.